Ich schwimme...

...mit einem Strom aus zartbitter Schokolade und einem Schuss frischer Vollmilch, bewundere die bunten Gummibären- Bäume zu beiden Seiten an den Flussufern und stelle mir vor wie gebratene Hähnchenflügel in Schwärmen über meinen Kopf hinweggleiten. Nichts kann meine Euphorie in diesem Moment beeinflussen...
„Robin anna!...Fynn anna!...Chaaaaai!“
Ich schreckte hoch. Es vergingen einige Sekunden, bis ich mir klar wurde, dass um mich herum keine Nebelschwaden eines morgendlichen Flusslaufes durch das Zimmer krochen, sondern mich ausschließlich mein überaus effektives Moskitonetz umgab, welches mich nachts vor den Angriffen blutrünstiger Insekten schützt. Ich kämpfte mich aus meiner Schutzhülle und taumelte halb schlafend zur Tür. Kaum geöffnet, kroch mir der Duft süßlichen Tees in die Nase und zwei große Kulleraugen strahlten mich an, als würde es nichts besseres auf der Welt geben, als uns morgens um 7 Uhr Chai auf‘s Zimmer zu bringen. An diese morgendlichen Weckritualien noch nicht gänzlich gewöhnt, schlürfte ich meinen Chai, den es in unserer Gegend (oder vielleicht auch in ganz Indien?) nur in dieser einen Geschmacksrichtung zu geben scheint und von dem man auch nach täglichem konsumieren nicht genug bekommen konnte.
Für alle diejenigen, die sich zu Beginn des Beitrags gefragt haben, warum mein Zimmergenosse und ich bei einem Mädchen Namen genannt werden: „Anna“ ist ein kannadisches Wort und bedeutet „großer Bruder“.
Wir werden von allen Kindern in unserem Projekt auf diese Weise angesprochen.
Um euch ein bisschen über die Geschichte eben jenen Projektes aufzuklären, indem wir nun schon seit gut 2,5 Wochen untergebracht sind: „Kaliyuva Mane“ bedeutet „Haus des Lernens“ und ist der eigentliche Name der Alternativen Schule, welche ihre eigenen Regeln verfolgt und sich mit einer Walddorfschule vergleichen lässt. Mit dem Gedanken denjenigen Kindern eine Schulbildung zu ermöglichen, die zum großen Teil auf anderen Schulen mit dem Lernpensum nicht mitkommen, von Zuhause keine finanzielle Unterstützung mehr erhalten, da die Eltern dem Alkohol erliegen oder einfach weil sie auf den anderen Schulen Unfug gebaut haben, bietet Kaliyuva Mane ihnen die Chance in einer ländlichen und öfters neuen Heimat durch kreatives Lernen und individuelle Förderung einen ansehnlichen Schulabschluss und den Rutsch in ein eigenständiges Leben zu schaffen. P1020801
„Divya Deppa“ ist eine registrierte, öffentliche und gemeinnützige Stiftung, die vor ca. 6 Jahren dieses Projekt in die Wege geleitet hat.
Die Schule bestand anfänglich nur aus einem Gebäude, aus dem in den folgenden Jahren, durch zahlreiche Spenden verschiedener Geldgeber, 6 Gebäudekomplexe geworden sind. Eines der Häuser bewohnt der Schulleiter zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn. Dann gibst noch drei miteinander verbundene Gebäude (unter meinen Bildern zu erkennen an der bunten Wandmalerei) in denen sich das Office, ein Computerraum, eine große Gemeinschaftshalle, eine kleine Bücherei und noch 2 Weitere Klassenzimmer befinden. Das Haus in dem auf einer Art Terrasse gemeinsam die Mahlzeiten eingenommen werden, ist zugleich das Schlafhaus der paar Kinder, die in der Schule wohnen, da sie entweder keine Eltern mehr haben, zu Hause instabile familiäre Verhältnisse herrschen, oder sie zu weit weg wohnen um jeden morgen zur Schule zu fahren. Robin und ich schlafen in einem, zweier aneinander liegenden Häuser die für die Lehrer und Freiwilligen gedacht sind. Mit uns bewohnen noch 3 einheimische Lehrerinnen und bis vor kurzem noch eine Lehrerin aus England die zwei Häuser. Außer den Schülern und Lehrern arbeiten noch ein Kuhhirte, zwei Köche und ein Van-Driver auf dem Schulgelände. Allerdings bekommt man fast jeden Tag neue unbekannte Besucher zu Gesicht die entweder potentielle Spender, ehemalige Freiwillige, Familienmitglieder der Kinder oder Freunde des Schulleiters sind.P1020527
Die rund 60 Schüler sind in 7 Lerngruppen je nach Alter und Wissensstand eingeteilt.
Von alt nach jung heißen diese: Vivek, Chaithanya, Chimnayi, Tejas, Pragna, Chiguru und Chillypilli‘s. Unser Arbeitsbereich beschränkt sich auf die Gruppen Chaithanya bis Chiguru, da sich die Vivek-Gruppe mitten in der Vorbereitungsphase auf ein wichtiges Examen im Frühjahr 2012 befindet und die Chillypilli‘s noch keinen richtigen Unterricht bekommen, sondern den Alltag eher spielerisch verbringen.
Ich habe mich dazu entschlossen den Kindern Kunstunterricht anzubieten, was einen erholsamen Ausgleich zu den anderen Fächern darstellt und ihre Kreativität und Kunstsinn anregen soll. Das „Anbieten“ muss man übrigens wortwörtlich nehmen, da es für kein Kind verpflichtend ist in Kaliyuva Mane am Unterricht teilzunehmen. Es ist jedem gestatten während der Stunden den Klassenraum zu verlassen, woran ich mich zu Anfang noch etwas gewöhnen musste.
Zu unseren weiteren Aufgabenbereichen gehören regelmäßige Garten- und Küchenarbeit, wobei wir auf der einen Seite durch Schweiß und Blut quadratförmige Gemüsebeete anlegen und auf der anderen Seite im Zweitagesrhythmus durch Fingerspitzengefühl das Frühstück für dutzende hungrige Mägen zubereiten.
Nach unseren täglichen Unterrichtsstunden bekommen wir von einer der Lehrerinnen eine Stunde Kannada beigebracht und wer einmal die kannadischen Schriftzeichen gesehen hat, weiß das diese Sprache zu lernen kein Zuckerschlecken ist. Eben so wenig einfach, wenn nicht geradezu nervig und mühselig, ist das Abtippen von Aufgabenzetteln für die Vivekgruppe am Computer. Die einzige Tätigkeit, um die man sich gerne mal drückt.
Geradezu begrüßend ist die Aufgabe, die wir vor ein paar Tagen von unserem Schulleiter, den hier alle nur „Brother“ nennen, bekommen haben: Er hat uns gefragt, ob wir das Kunstwerk an der Hauswand des Eingangsbereiches des Schulgeländes zu Ende malen wollen. Dieses wurde vor einigen Jahren von einer amerikanischen Freiwilligen angefangen und lässt sich bald im Sideboard unter dem Link „Meine Bilder“ begutachten.
Natürlich konnten wir nur bejahen, da es eine gute Möglichkeit darbot uns in gewisser Weise auf dem Schulgelände zu „verewigen“.
So mittlerweile wird mir der Beitrag auch etwas zu lang. Ich will ja, dass die Spannung erhalten bleibt. Deshalb mach ich Schluss für heute und widme mich wieder den Gummibären- Bäumen und Schokoladenfällen. Vorher noch kurz ne Kakerlake erschlagen, die Zähne mit Elmex sensitive sauber schrubben und dann geht es ab ins Schlaraffenland!
Shubha ratri!
P1020569
1798 mal gelesen
Chrischan - 16. Sep, 14:36

Schöner Artikel.

Ich habe ihn mehreren Leuten zum Lesen empfohlen und hoffe, dass Du auch noch ein paar Kommentare bekommst. Weiterhin gutes Gelingen und viel Spass.

FSJ in Indien

Moin User, mein Name ist Fynn und ich habe diesen Blog eingerichtet, da ich ab dem 10.August ein freiwilliges soziales Jahr in Indien machen werde und auf diesem Weg meine Eindrücke und Erlebnisse mit Euch teilen möchte.

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