Montag, 16. Juli 2012

Bergluft in der Lunge und Endorphine im Blut (Teil 1)

Ich erinnere mich noch an das Gefühl, als beide Hände die Lenkergriffe fest umschlossen, durch die Kälte bis ins Mark erstarrt, ich nach vorne gewichtet und die Sinne auf Hochtouren. Der kalte Wind ein neuer Feind meiner Tränendrüsen. Zur einen Seite die Gefahr der kopfgroßen Gesteinsklumpen, die einem der freundliche Felshang als Überraschung preisgibt und zur anderen Seite die gierige Tiefe des Abhangs. Der Boden zu meinen Rädern zerfurcht und von Schlaglöchern überseht, welche vom vornächtlichen Regenschauer überliefen.
Mein Gedanke nur Einer: Du bist gerade auf 5600m Höhe und düst mit 50km/h auf zwei Rädern durch den Himalaya. Jeder unvorsichtige Moment kann dein Letzter sein. Auf meinem Gesicht ein Dauergrinsen, welches meine Wangenmuskulatur schmerzen lässt.

Augenblicke wie dieser sind es, die mir hoffentlich noch Jahre lang im Gedächtnis bleiben.
Die Reise von Robin und mir ist jetzt schon wieder einen Monat her und wir befinden uns mittlerweile im Endspurt unseres Indienaufenthaltes. Der Reflektionsprozess wurde bis ins Erschöpflichste ausgefahren und natürlich will ich auch euch gerne in meinem Ozean der Erinnerungen mitschwimmen lassen.
Allerdings würde bei meiner Neigung zu ausführlichen Erzählungen die Wiederspiegelung unserer gesamten Reisezeit zu viele Seiten füllen und ich wäre eher in Deutschland, als dass ich den Bericht fertig geschrieben hätte. Eine Nacharbeitung bei einem geselligem Bierchen ist aber durchaus möglich.
Aus diesem Grund widme ich die folgenden Tastenhiebe schwerpunktmäßig dem Höhepunkt und der eigentlichen Zielsetzung unserer Reise: Dem Besuch des jahrelangen Krisengebiets namens Kaschmir und der Hochebene um das Industal, auch bekannt als Ladakh, tief im Himalaya. Der Rest der Reise wird in Form einer kurzen Bilderreihe impressionistisch dargestellt.

Ich knüpfe dort an, wo ich auf der Rückbank eines kleinen Government Busses saß, den Rucksack auf dem Schoß als improvisierten Airbag und über den hinweg ich mich mit einem Kashmiri unterhielt, der ein paar Minuten vorher mitgehört hatte, wie ich mich mit Robin unsere Pläne für Kashmir schmiedete. Wir waren auf dem Weg nach Jammu und es war kurz vor Mitternacht, als wir unsere Mitfahrer für den Jeep nach Srinagar fanden. Die sechs Kashmiris waren als Gruppe unterwegs und kamen uns gerade recht, da wir nicht davon ausgegangen waren, um die Uhrzeit so schnell Leute zu finden, die ebenfalls nach Srinagar wollten. Angekommen in Jammu warteten gleich am Busstand, oder der provisorischen Haltestelle irgendwo auf einer Schnellstraße, die ersten Jeepfahrer. Die anderen Jungs regelten für uns das Verhandeln während uns die Ödnis der nächtlichen Kleinstadt aufs Gemüt schlug, sodass mir fast die Kippe aus dem Mundwinkel fiel.
Beim Preis von 600 Rupien pro Kopf hatte man sich geeinigt. Um während der Fahrt nicht vor die Hunde zu gehen, wollte der Fahrer noch eine Kleinigkeit essen und so fuhren wir ein paar Straßen weiter, wo zu meinem Überraschen tatsächlich ein kleines Popelrestaurant offen hatte. Eigentlich kann man so etwas schon fast Straßenstand oder Fressbude nennen. Auch wenn es das noch lange nicht auf den Punkt trifft. 60 % der Deutschen hätten bei solchen Hygienezuständen übrigens schon längst das Handtuch geschmissen. Nicht so wir. Wir parkten den Wagen neben zwei hart chillenden Kamelen, die sich durch unsere Anwesenheit sichtlich gestört fühlten und ließen uns bei einer verwandten Form von Chicken Biryani wieder zu Kräften kommen.
Kurze Zeit später machten wir uns zu neunt auf den Weg durchs Kashmir Valley zur ca. neun Stunden entfernten Hauptstadt Srinagar.
Auf den ersten 500 Metern nahmen wir einpaar düstere Gestalten mit, die sich hinten an das Auto ranklempten und sich mühe gaben nicht runter zu fallen. Ob der Fahrer dieses nicht merkte oder ob es ihm egal war, kann ich nicht sagen, jedenfalls fuhr er deswegen nicht langsamer. Als nach einigen Stunden die kashmirische Morgenröte übers Land kroch und unsere müden Augenlieder die Strahlen gierig und flattrig aufnahmen, befanden wir uns auf einer kleinen Straße, die sich dicht am Berghang geschmiegt entlang eines reißenden Flusses wand. Es war der erste Eindruck, den ich von Kashmir bei Tageslicht bekam und er war wirklich überwältigend.
Auffällig waren auch wieder die große Anzahl an Hanf Pflanzen, die dichtgedrängt am Straßenrand wucherten und von denen ich auch schon so einige während den Busfahrten in Himachal Pradesh gesehen hatte. Ich muss jedoch alle Sympathisanten wieder von ihrer Wolke Sieben herunter bitten, da es sich bei diesen Pflanzen ausschließlich
um befruchtete männliche Bestände handelt. Also nicht rauchbar. Was nicht heißt, dass es die Weibchen nicht gibt.
Bei einer kurzen Rast ließ ich es mir nicht nehmen und nutze die Gelegenheit um das erste Mal in meinem Leben auf eine Hanf Pflanze zu pinkeln. Das gefiel allerdings einigen Beobachtern gar nicht gut und eh ich mich versah sprinteten drei großgewachsene Straßenköter zähnefletschend aus dem 20 Meter entfernten Gebüsch auf mich zu. Zum Glück war ich nicht weit vom Jeep entfernt und so konnte ich mich noch mit einem Hechtsprung ins sichere Gefährt retten. Triumphierend hielt ich den Angreifern (oder waren es vielleicht Verteidiger?) ein abgerissenes Hanfblatt vor die, von der Fensterscheibe von mir getrennten, Schnauzen.
Als sich die Lachtirade im Auto dann nach einigen Sekunden wieder gelegt hatte, ging unsere Fahrt weiter durch die hauptsächlich von Muslimen bevölkerten Grenzregion zwischen Pakistan und Indien.

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Ich war sehr gespannt wie sich unsere Weiterfahrt gestalten würde, da zwei Wochen vorher zwei andere Freiwillige ebenfalls versucht hatten nach Srinagar zu fahren und leider daran gescheitert waren, dass die Straße für gesperrt erklärt wurde.
Der Kaschmirkonflikt währt fort seit der Unabhängigkeit der Länder Pakistan und Indien und obwohl Jammu und Kaschmir seit 1957 ein Bundesstaat Indiens ist und Teile Kashmirs ebenfalls an Pakistan und China abgegeben wurden, beharrt besonders Pakistan auf die Gebietsansprüche und die Angliederung des muslimisch geprägten Gebiets. Seitdem kam es in der Region zu drei indisch-pakistanischen Kriegen.
Die besondere Brisanz in diesem Konflikt wird klar, wenn man sich vor Augen führt, dass beide Länder Atommächte sind und so schon seit 2002, als es nach dem Attentat auf das indische Parlament in Neu-Delhi im Dezember 2001 durch militante Islamisten zu einem enormen militärischen Aufmarsches beider Seiten an der „Line of Control“ kam, die Gefahr eines atomaren Krieges besteht.
„Nirgendwo sonst besteht so real eine Kriegsgefahr zwischen zwei Atommächten, und kaum ein anderer Konflikt hat die wirtschaftliche Entwicklung einer ganzen Weltregion über mehr als ein halbes Jahrhundert so gelähmt wie die Kaschmirkrise.“ (The European, „Wenn zwei sich streiten“,15.3.10)
Allerdings versichern beide Parteien verantwortungsvolle Nationen zu sein und so blieb es in den letzten Jahren bei kleineren Scharmützeln und Anschlägen.
Seitdem wurden langwierige Diskussionen und Verhandlungen vorangetrieben.
Dass die Terrororganisation Al- Qaida im Jahr 2007 Indien den Heiligen Krieg in Bezug auf Kaschmir erklärt hat, wirkt sich in dem Fall kontraproduktiv auf die Konfliktlösung aus.
Die Terroranschläge in Mumbai im Jahre 2008 führten anschließend zu einem abruptem Ende der Verhandlungen.
Die momentane Situation in Kashmir weist immer wieder aufkeimende Gewaltszenarien auf, die in Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften enden und mehrere dutzend Todesfälle fordern.
Nach Angaben der indischen Nichtregierungsorganisation South Asia Terrorist Portal fielen dem Kaschmirkonflikt seit 1988 fast 43.000 Menschen zum Opfer.

Obwohl also die Lage in Kashmir nach wie vor ungeklärt und brisant war und uns pausenlos Inder davor warnten, „dass es in Kasmir ja nur so von Terroristen wimmelt“, ließen wir uns davor nicht abschrecken und wollten mehr von diesem umstrittenen Gebiet im Himalaya erfahren.
Dass man sich in einer Krisenregion befand, merkte man relativ schnell an der hohen Militärpräsenz auf den Straßen. So befinden sich in dem indischen Teil Kashmirs momentan nach wie vor mit 300.000 Personen mehr indische Soldaten als Kaschmiris.

Auf der Hälfte der Strecke wurde ich von unseren Mitreisenden aus meinen Gedanken gerissen, als sie über meine Schulter hinweg auf einen kleinen Abschnitt einer Gebirgskette deuteten. „This is Pakistan.“ Der Unterton mit dem ich diese Worte zu hören bekam, machte auf mich den Anschein als hätten wir gerade die schwarzen Tore von Mordor gesichtet und festgestellt, dass es dummerweise kein Durchkommen gibt. Ein kurzes „Wow“ genügte jedoch und schon konnte ich mich wieder der wunderschönen Landschaft widmen. Ziegenherden und Soldaten streiften unseren Weg und mit jedem Kilometer besserte sich auch die Laune unseres Fahrers, bis er anfing lauthals im Auto zu singen und jeden ihm entgegen kommenden Fahrer mit wüsten Beschimpfungen zu bewerfen.
Ich habe mich die ganze Zeit gefragt wie denn die meisten Kashmiris auf die indischen Truppen in Kashmir zu sprechen seien. Doch noch ehe ich mich durchringen konnte einen von ihnen zu fragen, kamen wir an eine schrankenfreie Straßensperre an der ein Soldat mit einer AK 47 um die Schulter stand und uns heranwinkte.
Sofort fummelte der Fahrer wie wild am Amaturenbrett herum, fischte einen zusammengefalteten Zettel heraus und kurbelte das Fenster einpaar Zentimeter weit herunter.
Bei 20 km/h hielt er den Zettel aus dem Fenster, sodass der Soldat ihn sich schnappen konnte und gab Vollgas. Als er die Verwunderung in meinem Gesicht sah, gab der Fahrer ein lautes Lachen von sich und selbst unsere anderen Fahrgäste konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ich blickte aus dem Fenster zurück auf den nun schon einige hundert Meter entfernten Soldaten und sah nur noch wie irgendwas weißes zu Boden rieselte.
Meine Frage, die ich mir die letzten Minuten gestellt hatte, war somit mehr oder weniger beantwortet.

Schließlich war Srinagar in greifbarer Nähe und ich kontaktierte unseren Couchsurfer.
Für alle die mit dem Begriff „Couchsurfing“ nichts anfangen können:
Couchsurfing ist ein schon seit mehreren Jahren existierendes Internetportal in dem man sich mit anderen Reiselustigen auf dieser Welt in Kontakt begeben kann und gegenseitig die Möglichkeit zum jeweiligen Übernachten in den eigenen vier Wänden anbietet. Dabei nimmt der „Host“ oftmals die Rolle als potentieller Reiseführer an, zeigt und erzählt seinen „Surfern“ das ein oder andere über seine Heimat und freut sich wenn er/sie im Gegenzug beim gelegentlichen Besuch in der Heimat des Surfers genauso gastfreundlich aufgenommen wird. Dabei kann sich jeder bei Couchsurfing anmelden und verfügt ähnlich wie bei Facebook über eine Chronik in der er/sie die ein oder anderen für andere Couchsurfer relevanten Informationen über sich Preis gibt. Man kann sich also gegenseitig Host- bzw. Surfanfragen schicken und hoffen, dass man de Möglichkeit bekommt nette neue Leute kennen zu lernen.

Unsere beiden Couchsurfer waren die Brüder Sideeq und Bilal. Sie beschrieben uns den Weg zur Nigeen Road in dessen Nähe das Haus der Familie am Nakin Lake liegt, einem Nachbarsee vom Dal Lake.
Meine ersten Eindrücke, die ich in den ersten Minuten von Srinagar bekam, waren die nassen Straßen, die dem leichten Nieselregen ausgesetzt waren, Männer in langen dunklen Mänteln zusammengerafft an kleinen Holzbaracken mit wärmenden Kaffeebächern in den Händen und alte, mit Holzfassaden versehenen Hochlandhäuser mit Spitzdächern und backsteinigem Unterbau. Ähnlich wie die uns bekannten Fachwerkhäuser nur mit dunklerem Backstein und wesentlich heruntergekommener.
In der Ferne kratzten die tief hängenden Wolkenwände an den Bergspitzen des Himalayas. Der Schrei des Adlers ließ mein Mark erzittern.
Fortsetzung folgt...
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Moin User, mein Name ist Fynn und ich habe diesen Blog eingerichtet, da ich ab dem 10.August ein freiwilliges soziales Jahr in Indien machen werde und auf diesem Weg meine Eindrücke und Erlebnisse mit Euch teilen möchte.

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