Indien zwischen Schoko und Croissant

„Na mein Süßer, was hältst du von einer prallen Schokofüllung mit buttrig, knusprigem Blätterteig umschlossen?“ „Ach was, hör nicht auf sie, eine fruchtige Apfelfüllung würde dir doch gerade viel eher zusagen!“ „Oder ein schön knuspriges Vollkornbrot, wie du es schon seit Monaten nicht mehr bekommen hast?“
Es schallte von alle Seiten auf mich ein. Backwaren unterschiedlichster Art, die sich dichtgedrängt in ihrem Körben in dem schier unendliche langem Regal vor mir auftaten, versuchten alle lautstark um meine Gunst zu werben.
Mein Verstand arbeitete nur noch langsam und ich merkte wie die Damen das schamlos ausnutzen.
„Schaut mal bei dem stehen schon kleine Schweißperlen auf der Stirn!“ Schweißperlen?Jetzt ging es aber los! Das musste ich mir nicht gefallen lassen. Bloß schnell entscheiden.
Ich entschied mich für das Frühstücksmenü mit einem frischen Orangensaft, einem Omelett und zwei Toast mit Marmelade. Als Zulage dann noch ein Schokocroissant welches vorher warm gemacht wurde, sodass einem die Schokolade auf der Zunge zerfloss und ein Cappuccino von dem ich mir fasst sicher war, ihn in so perfekter Form nie wieder anderswo in Indien zu bekommen.

Ja ich bin noch in Indien. Auch wenn die Umschreibungen meines Umfeldes eher an ein nettes Café an der Champs Élysées erinnert. Der gute Unterschied war, dass in dem Café in dem ich saß ein Croissant 17 Rps (ca. 26 Cent) kostet und ich mich in Pondicherry (Puducherry) befand, welches sich 162 km südlich von Chennai, in dem Bundesstaat Tamil Nadu, an der Ostküste von Indien, an den Golf von Bengalen schmiegt. Die frühere französische Kolonie (1673 - 1962) war Hauptstadt Französisch Indiens und weist heute noch viele Merkmale aus seiner Vergangenheit auf. In der 240.000 Einwohner Stadt leben rund 7000 Menschen, die die französische Staatsbürgerschaft besitzen. Dies hat Frankreich bei der Kolonialübergabe möglich gemacht. Pondy (gebräuchige Abkürzung) ist die erste Stadt in Indien, wo ich bewusst eine europäische Stadtplanung wahrnehme. Viele Straßen sind gepflastert und die Gebäude-Architektur ähnelt oft der provenzalischer Dörfer. Eine Ringstraße trennt den Innenstadtbereich, auch genannt Boulevard Town, von den Außenbezirken. Innerhalb des Rings folgen die Straßen einem regelmäßigem Schachbrettmuster. Die Boulevard Town ist von einem von Norden nach Süden entlang der Gingy Salai (Canal Road) verlaufendem Kanal in zwei Teile geteilt, die in der Kolonialzeit als „weiße“ und „schwarze“ Stadt galten. Im French Quarter, dem östlichen Teil zwischen Kanal und Meer, haben sich zahlreiche öffentliche Gebäude und Privathäuser im französischen Kolonialstil erhalten.

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Zur Seeseite hin verläuft die Straße Goubert Salai mit einer knapp 12 km langen Promenade auf der es abends so von Einheimischen und Touristen wimmelt wie beim Sommerdom auf dem Heiligengeistfeld. Es war erst das zweite Mal, dass ich in Indien so etwas wie eine Promenade erblickte. Mein erstes Mal war in Mumbai. Allerdings kann man diese Promenade in Pondy nicht als Strand-Promenade bezeichnen, da es schlichtweg keinen Strand gibt, sondern nur einen mit Granitblöcken angelegten Uferdamm. Um einen Strand zu finden, muss man ein Stückchen weiter in den Norden nach Kuilapalayam fahren.
Westlich der Canal Road befinden sich die Hauptgeschäftsstraßen Mission Street, Mahatma Gandhi Road (meines Wissens soll es in jeder indischen Stadt eine MG Road geben) und Nehru Street. Dieser Stadtteil lässt sich kaum von anderen indischen Städten unterscheiden.

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Die Entscheidung nach Pondicherry zu fahren, kam eine Wochen früher, als wir (Robin und ich) erfuhren, dass am Freitag vor dem Wochenende das hinduistische Neujahrsfest Ugadi gefeiert wird. Yuga + aadi bedeutet: Start eines neuen Jahres. Wir wollten die Gelegenheit des verlängerten Wochenendes nutzen, um mal wieder aus dem Projekt rauszukommen.
Dafür machten wir uns am Donnerstagabend mit dem Zug Richtung Bangalore auf den Weg um dort Till (einen Freiwilligen mit Projektsitz in Bangalore) einzusacken und uns anschließend auf die 9-stündige Bustour nach Pondicherry zu begeben. Da wir die Tickets erst zwei Tage früher kaufen konnten, blieb uns nichts anderes übrig, als mit drei Plätzen in der letzten Reihe vorlieb zu nehmen. Es war ein uns so bekannter Karnataka RTC Bus und als wir merkten, dass wir die Sitze mit Beinfreiheit hatten, sprach jeder ein kleines Dankesgebet gen Himmel. Dennoch war die Busfahrt nicht gerade das, was man eine genüssliche Reise nennen kann. Man sollte in Indien niemals Tickets in der letzten Reihe kaufen. Nun gut, wir hatten keine andere Wahl. Es waren die Letzten. Die fahrt nach Pondy führte des öfteren durch kleine Ortschaften mit makaberen Straßenverhältnissen. Natürlich gibt es auch noch die Geschwindigkeitshügel, die es in ganz Indien gibt und die geschwindigkeitshemmend auf den Verkehr wirken sollen. Meiner Meinung nach einer der besten Methoden die Raser zu stoppen, denn entweder sie werden langsamer oder sie landen im Krankenhaus und ihr Fahrzeug aufm Schrottplatz. Da ist es erdenklich was vorzuziehen ist. Das sollte man mal in Deutschland testen.

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Als wir gegen 06.30 ankamen, kämpften wir uns erst einmal Richtung Promenade durch, die etwa 15 Minuten Fußmarsch entfernt lag und suchten nach einem guten Guesthouse oder Homestay. Wir hatten uns dagegen entschieden in einem Pondicherry Ashram unterzukommen, da deren strenge Vorschriften sich mit denen von Jugendherbergen vergleichen lassen. Sprich frühe Torschließzeiten, Alkoholverbot etc.
Außerdem waren die Zimmer preismäßig nicht viel billiger als in einem Hotel.
Schließlich fanden wir das Homestay Créole in der Labourdonnais Street, wo uns eine nette Dame im fließenden Französisch ein großes Zimmer mit zwei aneinander geschobenen Ehebetten im antiken Kolonialstil für 300 Rps pro Kopf anbot.
Da war der Sparmodus ganz schnell ausgeschaltet, auch wenn wir später erfuhren, dass es anderswo noch wesentlich billiger ging.
Wir verbrachten den Rest des Tages damit den French Quarter zu erkunden, eine Siesta zu halten und und in einem scheinbar schönen Restaurant Nudeln und Pizza zu essen.Wir hatten gehofft endlich mal eine gute Pizza in Indien verdrücken zu können. Leider Fehlanzeige.
Wir hatten geplant am nächsten Tag die 10 km nördlich von Pondy gelegene internationale Stadt Auroville zu besichtigen. Diesbezüglich besuchten wir noch am selben Tag La Boutique d'Auroville, um herauszufinden, wie man den Besuch von AV (noch so ne coole Abkürzung!) am besten angeht. Einen Bus sollte es geben. Leider haben wir diesen am nächsten Morgen verpasst und so gönnten wir uns ne Rikshaw. Zum großen ärger aller, als wir erfuhren, dass der Bus regelmäßig fuhr.
Ins Leben gerufen wurde die Idee von AV durch den bengalischen Yogi und Philosophen Aurobindo Ghose, der sich selber Sri Aurobindo nennt, und der Französin Mira Alfassa, bekannt als ‘die Mutter‘.
Das Selbstverständnis von AV lautet ungefähr so:
Auroville möchte eine universelle Stadt sein, in der Frauen und Männer aus allen Ländern in Frieden und wachsender Harmonie miteinander leben können - jenseits von religiösen Überzeugungen, politischen Einstellungen und nationaler Herkunft. Sinn und Zweck Aurovilles ist die Verwirklichung der menschlichen Einheit.
Am 28. Februar 1968 wurde in einer feierliche Zeremonie, bei der jugendliche Vertreter aus 124 Ländern und 23 indischen Bundesstaaten eine Handvoll mitgebrachter Heimaterde in ein Urne aus Marmor legten, die Stadt gegründet.
Heute ist die Stadt nach wie vor (wahrscheinlich noch die nächsten Jahrzehnte) am wachsen, was man daran sieht, dass es überall auf dem Gelände an Baustellen und unfertigen Straßen wimmelt. Bei ihrer Fertigstellung soll die Stadt einmal Platz für 50.000 Menschen aufbringen können. Momentan leben dort etwa 2200 Menschen aus 45 Nationen. Die Verwirklichung von AV basiert auf einem ständigen Wandel und dauerhaftem Experimentieren zur Realisation eines perfektem Zusammenlebens der Gemeinschaft.
„Neue Worte sind erforderlich, um neue Ideen auszudrücken, neue Formen sind nötig, um neue Kräfte zu manifestieren.“ (Mira Alfassa)
Sehr interessant ist das Konzept der Stadtplanung. Den Mittelpunkt der Stadt bildet das Matrimandir, die Seele Aurovilles und zentraler Meditationstempel, ein uralter Banyanbaum und das Amphitheater mit der Marmor Urne. Von hier aus gehen spiralförmig, weshalb man dieses Städtemodel auch die Galaxie nennt, die verschiedenen Zonen aus: Die Wohnzone, die kulturelle und die Gewerbezone und die internationale Zone.

Bei unserer Ankunft befanden wir uns in der internationalen Zone und haben uns zu Anfang das Visitor Center mit einem interessanten Infostand, Fotogallerien und einem Einführungsfilm angesehen. Daraufhin gab es die Möglichkeit sich das Matrimandir von einer Touristenplattform aus zu begutachten. Da man sich zwei Tage vorher hätte anmelden müssen, um in die heilige Meditationsstätte reinzukönnen, mussten wir leider draußen bleiben. Allerdings wollten wir uns damit noch nicht zufrieden geben und machten uns zu Fuß auf den Weg um auf eigene Faust Auroville zu erkunden.
Wir besuchten den tibetischen Pavillon, das Stadtzentrum und tranken in einem kleinen Café einen leckeren Wassermelonensaft. Zu erwähnen ist, dass der Verkäufer erst einmal nach einer Getränkekarte fragte, die ich natürlich nicht hatte, weil ich kein Aurovillianer bin. Barzahlung war dann zum Glück aber auch kein Problem. Man sieht allerdings, dass die Abschaffung des unmittelbaren Geldaustausches auch ein Ziel des Auroville Projektes ist und diesbezüglich in der Vergangenheit schon einige Tests durchgeführt wurden.
Auf Empfehlung einer netten Dame am Infostand sahen wir uns noch eine kleine Art Gallery in der nähe des Auroville Gasthauses an. Ziemlich geschmacklose Kunst wie ich fand. Interessanter dagegen waren die verschiedenen Modelle und Entwürfe Aurovilles die ebenfalls aufgeführt wurden und nach denen die Stadt gebaut werden sollte. Manche Ideen sahen aus als hätten sich an ihnen ein paar Jungarchitekten mal so richtig ausgetobt. Wie schon erwähnt hat sich die Idee der Galaxie im Endeffekt gegen seine Mitstreiter durchgesetzt.
Als die Sonne schließlich hoch stand und wir vom rumlaufen schon ziemlich ausgelaugt waren, entschieden wir uns zum Aurobeach zu fahren, um wenigstens einmal an diesem Wochenende im Meer gewesen zu sein.
Dort trafen wir auf Emilie aus Nize, Frankreich, die nach ihrer Tourismusschule ein paar Monate durch Indien und Indonesien reisen wollte. Nettes Mädchen. Französin halt.

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Wie bei vielem auf der Welt was zu schön klingt um wahr zu sein, bin auch ich erst einmal sehr kritisch in die Geschichte von AV eingetaucht und habe versucht das Prinzip dieser Lebensgemeinschaft zu verstehen. Im Endeffekt muss ich gestehen, war mein Aufenthalt zu kurz um große Schlussfolgerungen zu ziehen. Es handelt sich bei Auroville um ein einzigartiges, zukunftsfähiges Projekt, welches hoffentlich vielen Menschen auf der Welt die Anregung geben wird, etwas ähnliches auf die Beine zu stellen. Was mir weniger gut gefallen hat, war der sich stark entwickelnde Mother-Kult, dem viele Aurovillianer nachzueifern scheinen und der die verstorbene Mira Alfassa als Inkarnation der göttlichen Mutter sieht. Der Grad der Verehrung mit dem eine solche Frau vergöttlicht wird, scheint für mich nicht angemessen zu sein und viel zu überzogen, auch wenn sich durch sie für viele Menschen eine neue Lebensphilosophie eröffnet hat.

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An unserem letzten Tag in Pondicherry checkten wir schon gegen Mittag im Homestay aus, ließen unser Gepäck jedoch erstmal noch dort, da unser Bus erst abends fuhr und verbrachten die darauf folgenden Stunden damit, den indischen Teil von Pondy auf der Westseite der Canal Road näher unter die Lupe zu nehmen.
Es gibt einen schönen botanischen Garten, der allerdings durch den letzten Zyklon am Neujahrsbeginn des europäischen Kalenders noch so verwüstet war, dass uns der Zugang nicht gestattet wurde.
Es stellte sich auch heraus, dass es keine brilliante Idee war zu dieser Zeit durch die großen Einkaufsstraßen zu schlendern. Spätestens dann machte es sich nämlich bemerkbar, dass wir uns in einem der heißesten Bundesstaaten Indiens befanden. Es war teilweise so unerträglich, dass wir uns von einem klimatisierten Shop zum nächsten kämpften, immer darauf bedacht wie potenzielle Kunden auszusehen. Danach war unser Kreislauf natürlich so im Eimer, dass wir uns nur noch in das nächstbeste Café an der Promenade setzten und den Rest der Zeit Bücher lasen und Kaffe tranken.

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Jemand der schon einmal in Pondicherry war, würde jetzt fragen: „Aber habt ihr nicht noch etwas vergessen?“ Allerdings. Ob wir vergessen haben den Sri Aurobindo Ashram zu besichtigen oder ob wir ihn absichtlich verdrängt haben, kann ich im Nachhinein auch nicht genau sagen. jedenfalls haben wir ihn nicht besucht. Was nicht weiter schlimm war, da Emilie meinte, es würde in dem Ashram nur so von Mother Abbildungen wimmelt.
1990 mal gelesen

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